Das Thema Flucht und Migration ist so alt und aktuell wie die Menschheit selbst. Eine unendliche Geschichte, die sich bei allen Unterschieden der jeweiligen konkreten Fälle insgesamt doch so stark ähnlich bleibt. Das Schauspiel Leipzig verdeutlicht das zum Auftakt der neuen Spielzeit und spannt unter der Regie von Intendant Enrico Lübbe einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart.
Theater besitzt die Möglichkeit, in unterhaltsamer Weise gewünschte gesellschaftliche Werte zu vermitteln und eindringlich Erkenntnisse zu etablieren. So sahen es bereits im 18. Jahrhundert die Wegbereiter eines modernen Theaters – und dieser Tradition fühlt sich das Schauspiel Leipzig verpflichtet.
Leipzig wird wie die meisten europäischen Städte von einer wachsenden Wanderungsbewegung in Atem gehalten, die jeden Monat allein nach Deutschland mehr als 100.000 Flüchtlinge führt.
Wie lässt sich dieser gewaltige Strom auffangen oder am besten sogar stoppen, fragen sich die Menschen und die an der Basis arbeitenden Helfer schütteln vermehrt den Kopf über die realitätsfernen Entscheidungen aus Politik und Verwaltung.
Ob aus politischem oder wirtschaftlichem Druck, ob durch Vertreibung oder eigene Entscheidung: Die Menschen entfliehen ihrer Heimat in der Hoffnung auf ein besseres und glückliches Leben.
Was seit geraumer Zeit aktuell ist, wurde bereits in den 1970er Jahren von kritischen Fachleuten prognostiziert. Die Politik, die letztlich aus gewählten Volksvertretern besteht, hat aber beständig ignoriert, was nun nicht mehr wegzureden ist. Dafür wird nun schön- und kleingeredet – und herrscht Aktionismus.
Theater kann maximal zum Denken und Handeln anregen. Dem stellt sich das Schauspiel Leipzig und packt das schwierige Thema in der Zusammenführung von zwei Texten großer Namen an unter dem Titel „Die Schutzflehenden/ Die Schutzbefohlenen“.
Das Werk des antiken Granden Aischylos entstand um das Jahr 465 v. Chr., also vor knapp 2.500 Jahren, und erzählt von den Töchtern des Danaos, die über das Mittelmeer nach Argos fliehen und um Schutz bitten. Das Werk der Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek entstand vor einem Jahr, 2014, und erzählt von Menschen, die über das Mittelmeer nach Wien fliehen und um Schutz bitten.
Das Schauspiel Leipzig stellt eine Verbindung zwischen beiden Werken her, die sich in verschiedener Weise mit der gleichen Frage beschäftigen: Welche Konflikte und Folgen umfasst das Thema Flucht und Flüchtlinge – und wie geht die Gesellschaft damit um?
Mit Blick auf die Brisanz und die Vielschichtigkeit des Themas hat das Schauspiel Leipzig im Zusammenhang mit der Inszenierung von „Die Schutzflehenden/ Die Schutzbefohlenen“ eine Gesprächsreihe initiiert, die im Anschluss an einzelne Aufführungen stattfindet.
Start ist am Samstag, den 3. Oktober, um 22 Uhr im Anschluss an die Theaterpremiere um 19.30 Uhr. Unter der Moderation von Dr. Jens Bisky von der „Süddeutschen Zeitung“ sprechen Dr. Malte Herwig und Thomas Bärnthaler über „Die Agentur Frontex“.
Am Sonntag, den 4. Oktober, folgt um 17 Uhr in der Spielstätte Residenz in der Baumwollspinnerei als Premiere von der Gruppe God’s Entertainment die Performance „Die neue europäische Tragödie“. Passend im Vorfeld der zweiten Aufführung von „Die Schutzflehenden/ Die Schutzbefohlenen“ um 19.30 Uhr auf der großen Bühne im Schauspiel Leipzig.
Holger Gemmer