Wenn die Tochter von Max Frisch einen Liebesroman schreibt: Darf man da mit einer leichten Schnulze rechnen, die nach dramatischen Verwicklungen in einem Happy End mündet? Sicher nicht. Ursula Priess will auch gar nicht erst auf eine falsche Fährte locken und untertitelt ihren Roman „Hund & Hase“ mit dem Hinweis „Liebesversuche“ … Eindringlich ernüchternd – und aufmunternd.
Goethe hat mal gesagt, der Leser solle sich auf einen Roman einfach einlassen und auf den Inhalt konzentrieren statt den Autor und dessen Lebensumstände zu analysieren und in den Text hineinzuinterpretieren.
Bezogen auf Ursula Priess ist das eine interessante Übung: Bezieht man die Autorin und ihre Lebensumstände in das Werk ein, eröffnen sich vielerorts vermeintliche biographische Züge. Und wird besonders der Vater Max Frisch nahezu allgegenwärtig.
Bleiben der familiäre Hintergrund von Ursula Priess und ergänzende biographische Aspekte unbeachtet, präsentiert sich beinahe ein anderes und nicht weniger anregendes Werk.
Lobt man den Roman im Fazit nun als merkwürdige Enttäuschung, könnte das anders aufgefasst werden als gemeint. Denn: Bei oberflächlicher Betrachtung, die zudem von ständiger Zeitnot und permanentem Multitasking geprägt wird und nach einem schnellen Spektakel verlangt, ist die Versuchung groß, in gängigen Mustern zu denken.
Merkwürdig wird dann rasch als seltsam oder komisch oder sogar misslungen gewertet. So wie eigenartig in einer von Marketing und Image dominierten Gesellschaft als abträglich eingestuft wird, sofern sich das Eigenartige nicht innerhalb gängiger Richtlinien und Image-Muster bewegt.
Enttäuschung heißt im gleichen Umfeld leicht Fehlversuch, eine Erwartung nicht erfüllen oder steht für eine schlechte Leistung. Statt im Ursprung des Wortes die Auflösung oder Enttarnung einer Täuschung zu erkennen.
Im vorliegenden Fall deshalb konkret: Merkwürdige Enttäuschung möchte hier vermitteln, dass der Roman von Ursula Priess in vielfältiger Weise würdig ist, gemerkt zu werden. Und dabei mancher Täuschung die Maske entreißt … „Hund & Hase“ ist kein Buch für Eilige.
Wir Menschen verwechseln Verliebtheit oft mit Liebe. Sagt die Wissenschaft. Und ergänzt, dass eine vermeintliche Liebesbeziehung ab einem gewissen Zeitpunkt, wenn etwa eine Regenfront eitlen Sonnenschein ablöst, wie eine Dienstleistungsbilanz betrachtet wird: Wie hoch fällt bei einem machbaren Input x der Output y für mich aus?
„Hund & Hase“ erzählt von den Liebesversuchen von Lino und Ursina. Ein leicht eingängiger Roman, der zugleich hohe Aufmerksamkeit erfordert, um in den ganzen Genuss einer vorzüglichen Sprache zu gelangen.
Die beiden Protagonisten tauchen ohne Nennung von Namen in der Rahmenhandlung auf, die als eine Klammer der vier Kapitel betrachtet werden könnte. Wobei jedes für sich eine gänzlich verschiedene Ursina offenbart wie auch einen jeweils anderen Lino. Das erfordert Bereitschaft, immer wieder aus gerade erst vertraut gewordenen Denkmustern auszubrechen.
War Ursina nicht eben noch die Tochter des Bürgermeisters? Plötzlich ist da eine völlig neue Biographie … Gleiches gilt wiederholt im Fall von Lino. Eine Nebenbei-Lektüre ist dieser Roman nicht, und mal eben schnell querlesen lässt er sich ebenfalls nicht. Wäre auch schade um die schöne Sprache, bei der jedes Komma nach Beachtung verlangt.
Die vermeintliche Mühe lohnt sich und wird schließlich zum Genuss, der als Mehrwert eindringlich eine Vielzahl von Lebenswelten greifbar macht. Man riecht förmlich den Duft der Blumen, schmeckt deutlich die raffinierte Sauce und fühlt mit den verschiedenen Paaren, die letztlich doch eins und keins sind, und die unter den Namen Lino und Ursino in immer neuen Varianten von Teenagern zu Senioren reifen. Leben hautnah. Als Analyse, Mahnung und Aufmunterung zugleich.
240 packende und nachdenklich stimmende Seiten, erschienen bei btb in der Verlagsgruppe Random House.
Max Frisch wäre stolz gewesen auf seine Tochter, hätte er „Hund & Hase“ gelesen. „Zu spät“, sagt Ursula Priess, als sie geht. „Dumm gelaufen für ihn, da hat er Pech gehabt.“ Sie lächelt leise. Ihre Enttäuschung ist dabei nicht zu übersehen.
Holger Gemmer