„Die naTo“ ist für alle da. Sagt Torsten Hinger, Programmchef und Vorstandsmitglied eines der wichtigsten soziokulturellen Zentren von Leipzig. Und schon beim ersten Blick auf dessen Domizil, das flache Eckhaus Karl-Liebknecht-Straße 46 in der Südvorstadt, findet der großzügige Spruch Bestätigung.
Der offene, vom Wind zerzauste Eingangsbereich quillt fast über von den unterschiedlichsten Plakaten, die bloß die im Inneren stattfindenden Veranstaltungen der nächsten Wochen ankündigen.
Sie zeigen zugleich auf Anhieb die große Palette spannender kultureller Angebote, mit denen sich „die naTo“ von Bühne und Leinwand herab, ebenso wie mit gastronomischer Betreuung, an jedermann wendet – will sagen an Jung und Alt, Mann und Frau, Kind und Kegel. Und das, ohne irgendwelche sozialen, ethischen, ideologischen Bedingungen zu stellen.
Für Bereitschaft zu kultureller Vielfalt und toleranter Gastfreundschaft steht „die naTo“ von Anfang an. Und das will etwas heißen. Denn es ist inzwischen weit über dreißig Jahre her, dass die Einrichtung mit der etwas anzüglichen Bezeichnung aus dem ehemaligen Clubhaus der Nationalen Front, der früheren Veranstaltungsstätte für Parteien der DDR, heraus ihren Weg ins Leben antrat.
Die damaligen Akteure machten zunächst mit Jazzmusik, experimenteller Kunst, Aufführungen freier Theatergruppen, manchmal auch Literaturveranstaltungen von sich reden. Und entwickelten ihr individuelles Profil.
Heute ist es mehr die soziokulturelle, neue und improvisierte Musik, die es zwar schwerer hat anzukommen als beispielsweise Pop, aber dem gegenwärtigen Zeitgeschmack immerhin zugemutet werden darf. Denn die gesellschaftlichen Veränderungen in all den Jahren seither beeinflussten nicht nur „die naTo“ selbst, sondern auch ihr Publikum.
Dieses, in seiner jetzigen Reife, widerspiegelt schon den Erfolg des ständigen Bemühens, sich allen Bevölkerungsgruppen zu öffnen – eingeschlossen auch immer wieder solche, die den Zugang zur Kultur bisher kaum gefunden haben, die keine künstlerische Vorbildung besitzen, Förderung brauchen.
Auf diese Weise erzeugt „die naTo“ aktive Neueinsteiger vor allem in die Theater- und Musikszene. Wobei auch dieser Prozess nicht allein Jugendliche einbezieht. Die Altersstruktur, die vor Jahrzehnten immerhin auch schon Interessenten zwischen 18 und 80 Jahren umfasste, weist heute eine Erweiterung auf die Grenzwerte drei und 85 Jahre auf.
Das dürfte ein überzeugendes Zeichen setzen – vor allem für die Tragfähigkeit der Soziokultur selbst. Und deren Aufgabe, ein Podium der Entfaltung für viele zu sein. Was die Menschen zugleich zur Auseinandersetzung mit dem, was die gegenwärtige Gesellschaft bietet, befähigen soll.
Identität des Einzelnen und facettenreiches Programm in gegenseitiger Ergänzung. Eine praktikables Vorgehen, das Experimente erfordert.
„Für Neues sind wir immer gut“, betont Torsten Hinger, „für Anderssein als das Althergebrachte, für Versuche. Wir haben so etwas wie eine Grundphilosophie – umfassendes Widerspiegeln verschiedener Kulturen, Schichten, Ebenen. Wir wollen Welt- und Stadtteilkultur in Übereinstimmung bringen, gesunde Vielfalt erzeugen. Wir sind kein Haus für nur eine einzige Zielgruppe. Wobei wir die Gewichtung ständig ändern müssen, ebenso wie sich die Wünsche und Bedürfnisse der Leute ändern.“
Was das betrifft, dürfte es sich da vorwiegend um das Wachstum der Ansprüche handeln. Sogar politische und kulturpolitische Veranstaltungen werden heutzutage gern angenommen, ebenso hochwertige Filme im Original.
Das intelligente Kinoprogramm des Hauses besorgt seit vielen Jahren erfolgreich der Cinémathéque Leipzig e.V. Dem stehen spektakuläre Großveranstaltungen wie Badewannen- und Seifenkistenrennen durchaus nicht als Widerspruch gegenüber.
Gleich gar nicht die von der „naTo“ zeitweise initiierten BachSpiele auf dem Leipziger Hauptbahnhof, die viel Publikum finden. Immer wieder neue Projekte und neue Formate – das ist hausgemachtes Prinzip.
„Bei alledem“, ergänzt Torsten Hinger, „hat es sich erübrigt, das Publikum mit vielen internationalen Künstlern zum Kommen veranlassen zu müssen wie vor Jahren noch. In Leipzig und Umgebung gibt es genug geeignete Leute. Die einheimische Kunstszene hat in Quantität und Qualität deutlich zugenommen. Die gesamte Kulturlandschaft ist bunter und schöner geworden. Sie strotzt vor Erfahrung und bietet mehr Leistung. Damit kommen unter dem Dach der ‚naTo‚ heute mindestens 350 Veranstaltungen im Jahr zusammen. Eingeschlossen sind literarische Themen und Lesungen junger Nachwuchsautoren. Das Angebot an guten Büchern hat seit den Achtzigern ein gewaltiges Wachstum erfahren.“
So gesehen dürfte dem Programm des kommenden Jahres eher die Überfüllung drohen als der Leerlauf. Was sind die Schwerpunkte 2016? Hier nur einige von vielen: Es wird acht Theaterpremieren geben, darunter eine musikalische und ein Festival der Theaterturbine unter Mitwirkung hochkarätiger Künstler.
Ebenfalls großen Unterhaltungswert verspricht die obligatorische dreitägige Beteiligung der „naTo“ am Veranstaltungsmarathon „Leipzig liest“ der Buchmesse, und zwar mit internationalen Gästen, die unter anderem aus Osteuropa und Skandinavien anreisen werden.
Übrigens, das soziokulturelle Zentrum öffnet für Freunde, Interessenten und weitere Unvoreingenommene täglich. Sie dürfen das Haus gern betreten oder befahren. Die Räume sind barrierefrei und mit Behindertentoiletten ausgestattet. „Die naTo“ ist eben für alle da.
Traude Engelmann