Fünf Jahre Mord und Totschlag

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Mordskerl: „Giftmischer“ Andre Mannchen auf der Buchmesse. Foto: fhl Verlag

Sind Kapitalverbrechen ein Grund zum Feiern? Der junge fhl Verlag Leipzig bejaht diese Frage, denn er verdankt sein Überleben während eines halben Jahrzehnts vor allem dem Absatz seiner Kriminalromane und Kriminalerzählungen. Aber ist ein solcher Erfolg auch gesellschaftlich vorteilhaft und vor allem moralisch? Für und Wider unterschiedlicher Auffassungen.

Wird ein Mensch fünf Jahre alt, hat er längst mit Leichtigkeit laufen gelernt. Sogar denken und sprechen kann er und lachen und weinen sowieso. Erreicht dieses Alter ein Verlag, hat der es in seiner Entwicklung garantiert noch viel weiter gebracht.

Den Preis des Überlebens aber musste er mit großen Mühen bezahlen und die ganz normalen Fähigkeiten bis ins Chaotische steigern. So lernte er springen, kämpfen, rechnen, überzeugen, fordern, streiten, fluchen, grinsen, heulen. Und bei alledem auch noch Bücher machen.

Eine solche professionelle Vielfalt kann gegenwärtig zumindest ein editorischer Fünfjähriger aufweisen. Es handelt sich um den weltweit einzigen Krimi-Verlag für die sogenannte feine Handlektüre, kurz fhl Verlag genannt.

Als Neuling der Buchbranche, die ohnehin nicht ohne Courage betreten werden kann, will er nun dezent auf die bisherigen Erfolge seiner harten Arbeit hinweisen. Im Leipziger Haus des Buches, wo er sein Domizil hat, wird es demzufolge am 26. September 2015 eine kleine Feier geben.

Teils ernst, teils lustig soll es dabei zugehen – je nachdem, was sich die zahlreichen Gäste so alles einfallen lassen werden. Das sagt Andre Mannchen, der Geschäftsführer des Verlags, zwar augenzwinkernd, aber glaubhaft. Der Mann wird schließlich wissen, wie man Aufgaben gerecht verteilt.

Andererseits kommt er schon ein wenig fragwürdig daher. Behauptet er doch, den eigentlichen Grund zum Feiern böten ihm Mord und Totschlag. Das klingt ja richtig anstößig.

Sicher stehe ich mit dieser Meinung an der Seite vieler „echter“ Literaturliebhaber, die angeblich mit Raymond Chandler und der bunten Schar seiner Nachfolger nichts am Hut haben.

Anstößig also. Nichts lieber als das, erklärt Andre Mannchen lachend, so sollten seine Bücher möglichst alle auch sein. Was zugleich schockierend, aufrüttelnd, enthüllend, kritisch bedeute. Unter anderem.

Ich nenne es vorsichtig provozierend. Mit ärgeren Worten halte ich mich lieber zurück. Wer weiß schon, wie hart in diesem Verlag die Bräuche sind. Das Bild eines französischen Fallbeils auf der Einladungskarte lässt immerhin einiges befürchten. Meinen Kopf behalte ich lieber oben.

Das sei den Lesern von Krimis auch das Liebste, reagiert Mannchen auf einen Hinweis meinerseits. Zusehen und selbst nicht betroffen sein. Gruseln ohne eigene Gefahr. Blutiges Geschehen in der Vorstellungswelt. Solche Gelüste nach Spannung und Sensation befriedige der fhl Verlag mit seinen Veröffentlichungen – sozusagen theoretisch bis praxisnah. Erkenntniszuwachs eingeschlossen.

Das sei doch viel moralischer als die Leichen auf der Autobahn zu zählen, indem man langsam am Unfallort vorbeifährt. Oder als Zuschauer von Formel-Eins-Starts dem großen Crash lächelnd beizuwohnen. Oder die Schreckensszenarien von Naturkatastrophen und Kriegen als Badekur zu genießen. Fest stehe, mit oder ohne fhl-Krimi – der tagtägliche Wahnsinn passiere sowieso. Für die Entrüstung über seinen Unterhaltungswert sei es längst zu spät.

Wie wahr. Aber gemischt sind meine Gefühle noch immer. Sollte ich den Krimi zwischen zwei Buchdeckeln als Ablenkungsmanöver vom Krimi des wirklichen Lebens verstehen? Ebenso wie ich den lästigen Wespen etwas Süßes hinstelle, weil sie dort besser aufgehoben sind als auf meinem Teller?

Das wäre Spannung dosiert und in Grenzen verwiesen. Allerdings ohne Ächtung jedweder Übertreibung, die ja in Texten auch vorkommen kann. Aber was empfinden wir schon noch als übertrieben? Der Totenkopf ist uns eh schon bis auf die Haut vorgerückt, ebenso wie auf T-Shirts, Plakate im Kinderzimmer, Fußballvereinssymbole. Alles wird Mode, alles macht Spaß. Wie kaputt ist diese Welt?

Ziemlich, beantwortet Mannchen die Frage lapidar. Wenn die Welt heil wäre, würde es vielleicht die Trivialliteratur nicht geben, weil die keine trivial denkenden Leser mehr fände. Diese Spezies wolle doch der grausamen Realität entfliehen. Und die Schnulzen, auch die gedruckten, böten ihr diesen Kick.

Krimis in ihrer Härte, die den Blick auf dieselbe Realität schärfen, seien ehrlicher. Das mache einen großen Teil ihres Wertes aus, wobei die Kriterien guter Literatur und guten Schreibens natürlich auch hier an erster Stelle stünden.

Ein Leser, der Ansprüche an die Qualität von Büchern stelle, wolle nicht in einem Elfenbeinturm eingeschlossen werden, sondern sich und seine Mentalität wiederfinden. Bei aller Fantasie müsse das wirkliche Leben, auch seines, immer präsent sein. Und zu der Erkenntnis führen, dass ein Teil der Gesellschaft in ihrer Unzulänglichkeit jeder auch selbst ist.

Hoffentlich nicht zu ausschließlich, mische ich mich wieder ein, der Leser müsse doch auf der Seite der Guten stehen können. Richtig, pflichtet mir Mannchen bei, aber diese Position sei ja immer in Gefahr. Ohne Konflikte kein Leben und kein Krimi, eingeschlossen die perfidesten Macharten des personifizierten Bösen. Das den Leser mit der Einzigartigkeit seiner Handlungen fasziniere, von nachvollziehbar bis selbst durchführbar.

Das Praktikable – gefährlich, aber lehrreich. Was das betrifft, bietet der fhl Verlag Leipzig mit vielen Titeln eine große Auswahl. Nehmen wir nur mal die Anthologien unter dem Thema „Giftmorde“. Akkurat vorgestellt werden Pflanzen mit lebensbedrohlichen Inhaltsstoffen, die in unseren heimischen Gärten, Wäldern und Blumentöpfen ihr zumeist bescheidenes Dasein fristen und in jeweils einer spannenden Kurzgeschichte von einem Totmacher schändlich missbraucht werden.

Das seien, erklärt Mannchen, abgesehen vom hohen Unterhaltungswert, die reinsten Anleitungen – jedoch nicht nur zum Handeln, sondern auch zum Vermeiden. Dieses sinnvolle Prinzip des Für und Wider halte der Verlag auch bezüglich gesellschaftlicher Prozesse ein, die in seinen Kriminalromanen bekanntlich eine große Rolle spielen. In fhl-Texten werde nicht moralisch gegängelt. Schließlich seien deren Leser mündig.

Das alles klingt nach viel Erfahrung, finde ich. So jung und schon so weise? Demonstrativ betrachte ich das schüttere Haar meines zweiundvierzigjährigen Gesprächspartners.

Als Verleger, seufzt Mannchen, werde man in fünf Jahren mindestens zehn Jahre älter. Die vielen Probleme. Wenn er die damals vorausgesehen hätte, wäre der fhl Verlag gar nicht entstanden.

Was heißt damals? Die Antwort, ausführlich und mit Episoden bestückt, beinhaltet die Jahre des Beginns einer noch ehrenamtlichen kulturellen und literarischen Tätigkeit von jungen Mitgliedern des eingetragenen Vereins FHL, der im FHL-Club der Hochschule der Deutschen Telekom zuhause war.

Aus heutiger Sicht lässt sich diese Zeit als die der vorgeburtlichen Entwicklung betrachten. Die eigentliche Niederkunft fand im Oktober 2010 statt. Mit dem damals vollzogenen Schritt zum Professionellen und dem Einzug ins Haus des Buches betrat der editorische Neuling – nun unter der Bezeichnung fhl Verlag Leipzig – den Weg ins Leben.

Es war ein holpriger Weg. Das Programm am Anfang hatte ein noch wenig markantes Profil. Die Suche nach guten Autoren und Manuskripten stand im Vordergrund, Themen und Genres fast jeder Art wurden ausprobiert. Am Ende Erfolge oder Misserfolge. Bis zu der Entscheidung, konsequent Schwerpunkte zu setzen, war viel Lehrgeld zu zahlen.

Heute nimmt das Segment Spannungsliteratur etwa achtzig Prozent des Programms ein, den Rest füllen Romane, Erzählungen, Lyrik. Der Buchmarkt hat gesprochen und für Mord und Totschlag plädiert.

Unter dem Strich des nunmehr fünf Jahre zählenden verlegerischen Wirkens des fhl Verlags Leipzig (jetzt UG) stehen fast einhundert AutorInnen und 144 Titel, von denen 75 aktiv sind. Ein beachtlicher Überlebensbeweis.

Andre Mannchen wünscht sich, denselben weitere fünf Jahre antreten zu dürfen. Für das Gelingen dieses Vorhabens drücke ich ihm fest die Daumen – auch für den Fall, dass dem Interesse am literarischen Gewaltpotential plötzlich die Luft ausgehen sollte. Wer weiß das schon?

Was immer bleiben wird, ist das Bedürfnis der Leser nach Qualität und Spannung – auch wenn diese Kostbarkeiten anderen Inhalten als heute beigegeben werden müssen. Das Provozierende in guten Texten, das scheint mir sicher zu sein, wird stets Anerkennung finden.

Deshalb kann ich, natürlich nach reiflicher Überlegung, das auf meiner personengebundenen Einladungskarte abgedruckte Versprechen nur gutheißen. Es besagt, dass der „KRIMI-VERLAG FÜR DIE fEINE hAND lEKTÜRE“ auf das Jubiläum und den Erfolg anzustoßen gedenkt.

Was mir wie eine Entscheidung für das Anstößige seiner Bücher auch in Zukunft vorkommt. Und das kann nur eine gute Entscheidung sein.

Traude Engelmann

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