Provokation und Unterstützung

Die Stimmmung war betont heiter, als der Frauenkultur e.V. Leipzig seinen 25. Geburtstag inszenierte. Die Zahl der Gäste und Mitwirkenden hatten die Organisatoren zwar von vornherein limitiert, aber eine lockere Zusammenkunft bei größtmöglicher Bewegungsfreiheit kam trotzdem nicht zustande. Denn so intensiv wie am Abend des 1. Oktober dürfte der Saal im Haus Windscheidstraße 51 selten strapaziert werden. Diese Veranstaltung mutierte zur Demonstration. Nicht zu übersehen war vor allem, dass das proklamierte Ziel der Frauenkultur viele Anhänger findet. Was einem Votum für Gleichberechtigung und Toleranz entspricht.

Im Mittelpunkt dieses Bekenntnisses steht nach wie vor die Gleichstellung von Mann und Frau. Die nämlich ist noch immer Vision. Vorstandsmitglied Christine Rietzke räumte den diesbezüglich drängenden Aufgaben innerhalb ihrer optimistischen Rede zwar wenig Platz ein, aber ungenannt konnten sie nicht bleiben. Denn selbst in unserer verhältnismäßig modernen Gesellschaft gebe es noch zu viele Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

Die Ideologie der weiblichen Minderwertigkeit sei tief verankert. Dominanz gelte als unweiblich. Dem Mann sei fast immer der erste Platz vorbehalten. Geschichte definiere sich seit Jahrhunderten über Handlungen der Männer.

Eigentlich hat mit solchen Verhaltensmustern jede Frau und jeder Mann täglich zu tun. Aber bewusst wird es ihnen selten. Schon da, beim Vorhalten des Spiegels, muss die Arbeit der Frauenkultur ansetzen.

Das Kämpferische einer soziokulturellen Avantgarde spielt sich nicht auf steinernen Barrikaden ab, es wird thematisiert in wirkungsvollen künstlerischen und kulturellen Projekten. Also ebenfalls nicht samtweich. Das umfangreiche und sehr vielseitige Programm, das in der Windscheidstraße 51 monatlich über die hauseigene Bühne geht, beweist es.

„Zentraler Bestandteil unseres Wirkens“, erklärt Christine Rietzke, „war und ist für uns immer das gleichberechtigte und tolerante Miteinander in unserer Gesellschaft. Es wurden und werden Fragen gestellt und Diskussionen angestoßen. Demokratie, Integration und Stellungnahmen gegen jede Form des Rassismus sind die Eckpfeiler aller Arbeitsfelder der Frauenkultur. Mitmenschliche Offenheit ist der erste Schritt zur Teilhabe. Dazu müssen Bürgerinnen und Bürger aller Generationen ermutigt und immer wieder angesprochen werden – zuweilen provozierend, zuweilen unterstützend.“

Ein Vierteljahrhundert emsigen Schaffens mit diesem hohen Anspruch hat dem Verein gute Ergebnisse gebracht, aber die Beschaffenheit der Gesellschaft ist in seinem Sinne noch immer verbesserungswürdig. Das, was einst in den Tagen der Wende von politisch aktiven Frauen der neuen Bundesländer an den Runden Tischen gefordert worden ist, kann keineswegs als inzwischen erfüllt oder gar überholt betrachtet werden.

Wir müssen, verlangten sie, Möglichkeiten finden, um die voraussehbare weitere Begrenzung weiblicher Daseinsformen aufzuhalten. Solche Möglichkeiten dürften inzwischen längst nicht ausgeschöpft worden sein.

Wobei das Konzept von einst, als in den ersten Oktobertagen des Jahres 1990 der Frauenkultur e.V. Leipzig gegründet wurde, im Lauf der Zeit vielfach Bestätigung fand. So kann die soziokulturelle Gemeinschaft heute auf Erfahrungen zurückgreifen, die sie zunehmend selbstbewusst sein lässt.

Vielfach gelungen ist ihr das Vorhaben, die Frau in ihrer künstlerischen und kulturellen Arbeit zu unterstützen, zu fördern und einen Ort zu schaffen, an dem sie mittels der Auseinandersetzung mit weiblicher Kunst und Kultur einen Raum der sozialen Kommunikation erfahren und erleben kann. So war es, so sollte es bleiben – einem inzwischen allgemeingültig gewordenen Reglement zufolge.

Was aber macht das Wirken des Frauenkultur e.V. Leipzig insbesondere heute aus? Natürlich immer wieder das, männlicher Dominanz in wirtschaftlichen und politischen Bereichen sowie künstlerischen Genres zu begegnen. Die gesellschaftliche Weiterentwicklung ist ja vom ersten Tag an Vision und Fokus des Vereins. Aber welche Lehren erteilt ihm die Gegenwart?

„Das Besondere an unserem Handeln ist“, bringt es Christine Rietzke auf den Punkt, „dass es dazu führen sollte, uns selbst abzuschaffen. Denn wenn unsere Vorstellung vom gleichberechtigten Miteinander von Frau und Mann in allen Lebensbereichen Wirklichkeit geworden ist, dann gibt es an der Arbeit der Frauenkultur keinen Bedarf mehr.“

Demzufolge ist der lebensfrohe Trubel am 25. Geburtstag des Vereins unter einem weiteren Gesichtspunkt zu betrachten: Er wurde nicht allein von Frauen und Kindern erzeugt. Männer waren ebenfalls mit von der Partie. Es müssten nur noch mehr werden.

Traude Engelmann

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